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Auf der Suche nach Urs ...


Vor dem Beginn unserer Reise sagte man uns, dass die Strassen in Rumänien nun deutlich besser als noch vor einigen Jahren seien und so fuhren wir gespannt über den Grenzposten an der Donau mit der Hoffnung zumindest nicht noch mehr Schlaglöcher als in Bulgarien vorzufinden.

 

Und nachdem alle Formalitäten erledigt waren und uns der rumänische Zollbeamte eine wunderschöne Reise gewünscht hatte, waren wir tatsächlich schnurstracks auf einer nigelnagelneuen Autobahn unterwegs in Richtung Bukarest, dem sogenannten „Paris des Ostens“. Nachdem wir das Verkehrschaos auf den Zufahrtsstrassen überlebt hatten, parkten wir unseren Bus mitten in der Innenstadt auf einem Parkareal, auf dem wir (gegen Gebühr natürlich) später auch die Nacht verbrachten und starteten, kreuz und quer durch die vielen Strassen und Stadtviertel schlendernd, eine erste Erkundungstour.

 

Dabei landeten wir als aller erstes völlig unvorbereitet in der „Party-Meile“ der Altstadt. Dort reihte sich eine Kneipe - die entsprechende laute (und schlechte) Musik aus auf die Strasse gerichteten Boxen spielte - nahtlos an die nächste, versuchten entsprechende Schilder die männlichen Besucher in eine der zahlreichen Tabledance-Bars zu locken und es wimmelte nur so von grösseren und kleineren ausländischen Reisegruppen.

 

Irgendwann hatten wir die Amüsiermeile, zu unserer grossen Freude, dann jedoch erfolgreich hinter uns gelassen und begegneten in den angrenzenden Stadtvierteln vor allem hipsteresken Cafés, hübschen Restaurants und zum Flanieren einladenden Parkflächen. In den Bann gezogen hat uns aber vor allem der absolut einzigartige Architekturmix aus deutlich in die Jahre gekommenen Ostblock- und Jugendstilbauten, prunkvollen klassizistischen Gebäuden, moderner Glas- und Stahlfassaden sowie den grotesken Symbolbauten Ceauşescus Grössenwahns. Das dieser Stilmix nicht nur an nebeneinanderstehenden Gebäuden zu finden ist, sondern regelmässig sogar innerhalb eines einzigen Gebäudes umgesetzt wurde, ist vermutlich wahrlich einzigartig.



 

Um Platz für Ceausescus Palast zu machen wurden Ende der 1970er Jahre ein Teil der Altstadt zwangsgeräumt und 40.000 Wohnungen, ein Dutzend Kirchen sowie drei Synagogen abgerissen.


Unsere anschliessende Reiseroute durch Rumänien war (wie üblich) primär durch die Lage der Klettergebiete vorgegeben und lag - zumindest teilweise - mitten in Siebenbürgen und Transsilvanien, so dass wir anschliessend vorerst in einer der tourismusstärksten Region Rumäniens landeten. Der Tourismus konzentriert sich nicht ganz zufällig in diesen Regionen, denn Städte wie Braşov (Kronstadt) und Sibiu (Hermannstadt) sind wunderschöne alte und guterhaltende bzw. restaurierte Städte, die zum Flanieren einladen und eher an Italien oder mittelalterlich geprägte deutsche Ortschaften erinnern, als dass sie sich mit den klischeehaften Vorstellungen einer Reise durch den Ostblock decken.

 

Um dem städtischen Trubel zu entkommen und endlich die ersten Klettergebiete zu erkunden, zog es uns dort erst einmal in den Piatra Craiului Nationalpark bei Zarneşti, welcher uns in seiner Lieblichkeit unerwartet stark an gewisse Regionen unserer Wahlheimat, die Schweiz, erinnerte.


 

Aufstieg auf den

Piatra Mică im

Piatra Craiului Nationalpark.


Nachdem wir einige Tage lang die dortige Umgebung wandernd und kletternd erkundigt und auch einigen umliegenden Bergdörfern einen Besuch abgestattet hatten, erwischte Saskia dann allerdings leider ein ganz fieser „Darmkäfer“, welcher uns in den darauffolgenden Tagen zu einer ungeplanten und ungewohnt ausgiebigen Ruhephase zwang.

 

Das Genesungsprogramm bestand unter anderem aus Lesen, über die Transalpina cruisen und schliesslich, an unserem eigentlichen Ziel, dem Kletter-Hotspot Băile Herculane angekommen, in den natürlichen warmen und kalten Quellen zu baden.


 

Am höchsten Punkt der Transalpina.


Der Ort Băile Herculane war bereits im Mittelalter ein bedeutsamer Kurort, wurde anfangs des 18. Jahrhunderts auch international bekannt und erhielt u.a. sogar Besuch von Kaiserin Elisabeth (Sissi) von Österreich. Ende der 1980er geriet Băile Herculane dann aber etwas in Vergessenheit, so dass von vielen der ehemals prunkvollen Hotels und Badeanstalten momentan nur noch die einsturzgefährdeten Überreste zu bewundern sind. Doch hier scheint sich einiges zu tun und die Restaurierungsarbeiten vieler Gebäude bereits in vollem Gange zu sein.




Die natürlichen heissen Quellen, die auch für die verschiedensten therapeutischen Anwendungen genutzt werden, erfreuen sich bei der rumänischen Bevölkerung grosser Beliebtheit. Dicht an dicht parkten die Autos am Strassenrand auf Höhe der Badestellen und auch in den Thermalbecken war, egal zu welcher Uhrzeit, trotz der hohen Aussentemperaturen nur schwer ein freier Platz zu ergattern.


 

Die meisten heissen Quellen werden in geflieste Badebecken leitet - an einigen Stellen gibt es jedoch auch natürliche Becken ...

 

... mit direktem Anschluss an die Möglichkeit zur Erfrischung im Fluss.


In Băile Herculane sind wir übrigens tatsächlich dem ersten Schlagloch unserer Rumänien Reise begegnet, doch viele Bauarbeiter und Maschinen sind hier täglich im Einsatz, um diese möglichst schnell verschwinden zu lassen. Das mühsame Fahren über von Schlaglöchern durchsetzte Schotterstrassen gehört in Rumänien mittlerweile - zumindest grösstenteils - ganz offensichtlich der Vergangenheit an.

 

Der brandneue Kletterführer war mit Hilfe eines Instagram Hinweises schnell ergattert und so erkundeten wir gemeinsam mit guten Freunden, die inzwischen ebenfalls in Băile Herculane angekommen waren, die ersten Felsen und starteten Saskias „Kletter-Reha-Programm“. Baile Herculane sei laut mehrfacher Aussagen von lokalen Kletterern das beste und grösste Klettergebiet Rumäniens, trotz der scheinbar grossen Beliebtheit des Gebietes stellten sich manche Zustiege dennoch als eher selten begangene und teils nur mit grosser Fantasie zu erahnende Pfade heraus, bei denen ein gutes Orientierungsvermögen zur Wegfindung sicherlich nicht schaden kann.

 

Da unseren Freunden leider nur zwei Ferienwochen zur Verfügung standen, fuhren wir nach einer knappen Woche vorerst weiter in den Retezat Nationalpark. Dort hatten wir uns eine vielversprechende Tageswanderung auf den Vârful Retezat vorgenommen. Der Retezat Nationalpark ist der älteste Nationalpark Rumäniens und hält mit seinem dichten Baumbewuchs, zahlreichen Bergseen, Geröllfeldern und schroffen Gipfelgraten eine zahlreiche Auswahl an alpinen Bergwanderungen bereit. Sowohl der Auf- wie auch der Abstieg über die knapp 1400 zu bewältigenden Höhenmeter waren landschaftlich extrem abwechslungsreich und deutlich wilder als im Piatra Craiului Nationalpark.



Trotz der Tatsache, dass in Rumänien die grösste Braunbärenpopulation Europas beheimatet ist sowie der Bemerkung in unserem Wanderführer, dass im Retezat Gebirge so mancher Wanderer seine „Feuertaufe“ in der Begegnung mit wild lebenden Braunbären erhält, wurde unsere Hoffnung eines dieser imposanten Tiere aus sicherer Entfernung in seiner heimischen Umgebung beobachten zu dürfen, leider nicht erfüllt. Andererseits wäre uns das Herz vor Schreck aber sicher ordentlich in die Hose gerutscht, hätten wir überraschend nach einer Kurve wirklich Auge in Auge - quasi zum Greifen nah, statt in sicherer Entfernung - vor einem ausgewachsenen Bären gestanden!

 

Und bedenkt man, dass sich auf dem höchsten Punkt der Transfăgărășan Passstrasse einige Bärenfamilien mittlerweile lieber, am Strassenrand aufgereiht, von der Fütterung durch Touristen ernähren, als sich in den Wäldern ihre Nahrung selbst zusammenzusuchen, so ist es doch schön zu wissen, dass dieses Verhalten eine (leider vom Fehlverhalten der Menschen unterstützte) Ausnahme darstellt und die meisten Bären es weiterhin vorziehen in ihrer natürlichen Umgebung in Ruhe gelassen zu werden - und auf die Begegnung mit der Spezies Mensch schlicht und einfach keine Lust haben …



Mit jeweils einem kurzen Kletter-Abstecher in die Cheile Turzii und zu der Calcarele de la Ampoita westlich von Alba Iulia begaben wir uns anschliessend zurück nach Baile Herculane. Während es unsere Freunde weiter östlich nach Siebenbürgen zog, wollten wir in Baile Herculane unbedingt noch den Klettersektor Wasserfall (Cascada Vanturatoarea) genauer unter die Lupe nehmen. Ohne dort oben an der „Wall of perfection“ (Zitat: Adam Ondra) geklettert zu sein, konnten wir unmöglich wieder nach Hause fahren.

 

So schwitzten wir uns also, bei immer noch täglich etwa  35° im Schatten, die 300 Hm zu besagtem Klettersektor hinauf. Und trotzdem, dass wir unter normalen Umständen bei diesen Temperaturen niemals klettern gegangen wären, hatte sich der Weg absolut gelohnt.


 

Hauptwand des Klettersektors

„Cascada Vanturatoarea“.


An das Projektieren von schweren Routen war zwar bei diesen Bedingungen nicht im Entferntesten zu denken, aber wir konnten dennoch einige fantastische lange Linien klettern und manchmal hatten wir sogar das Glück, dass der Wind wenigstens kurz für einen Hauch von Abkühlung sorgte.

 

Die beiden Sektoren „Cascada Vanturatoarea“ und „Km 9“ scheinen unserer Meinung nach die beiden lohnendsten Gebiete rund um Baile Herculane zu sein, an denen man sich (bei guten Bedingungen) sicherlich einige Zeit beschäftigen kann. Um die spannend (und sehr herausfordernd) aussehende Wandkletterei an „Km 9“ selber zu testen, war es jedoch leider - wie schon erwähnt - viel zu heiss, zumal dieser Sektor bereits ab dem Mittag in die Sonne kommt und eher „gut geschützt“ im Wald liegt, so dass dort nicht einmal mit einem kühlen Lüftchen zu rechnen ist.

 

Was uns an Rumänien definitiv beeindruckt hat, ist die unglaubliche Natur- und Artenvielfalt. Noch nie zuvor waren wir abends von dutzenden wildblinkenden Glühwürmchen umringt und haben so viele verschiedene Käferarten beobachten können, wie dort. Vor allem für Wanderbegeisterte Reisende bietet der riesige Karpatenbogen mit seiner Mischung aus wilder und lieblicher Wald- und Berglandschaft unzählige Möglichkeiten und macht Rumänien zu einem absolut lohnenswerten Reiseland.


 

Rückblick auf den

Vârful Retezat.


Aber auch als Kletterer kommt man in Rumänien voll auf seine Kosten, sofern man nicht mit der Einstellung losfährt ein zweites Leonidio oder Briancon zu finden. Es kann dort durchaus passieren, dass man mal vor rostigen Haken steht, die Routen bereits sehr abgespeckt sind, diese so tief in einer Höhle eingebohrt wurden, dass es dort drin selbst schon zu dunkel ist, um ohne Stirnlampe die Bolts zu sehen, man Schlangen in Felsschlitzen entdeckt, die Ausrichtung im Topo so leider gar nicht stimmt und man bei viel zu viel Sonne an einer Südwest- anstelle einer Ostwand steht, süsse Strassenhunde gestreichelt werden müssen, man plötzlich von staunenden Touristen umringt ist, die Projekte erstmal ordentlich geputzt werden müssen oder man meist viel mehr Routen am Fels findet, als im Topo verzeichnet sind und man sich fragt welche Route nun eigentlich welche ist … aber man findet definitiv auch grossartige Wände mit langen drei Sterne Routen die einen die Frustration vorheriger Seilwanderungen (Wortkreation für: man befindet sich ewig lang mit dem ganzen Klettergerümpel auf dem Rücken auf der Suche nach einem brauchbaren Stück Fels und findet es schlussendlich doch nicht) schnell vergessen lassen!

 

Den Austausch mit lokalen Kletterern haben wir stets als sehr nett, kommunikativ und informativ erlebt und auch abseits der Klettercommunity begegneten wir ausschliesslich unwahrscheinlich netten, hilfsbereiten und offenen Menschen.

 

Kultur- und Wanderbegeisterten Menschen können wir eine Reise durch Rumänien wärmsten empfehlen - und auch die Felsvagabunden, die sich beim Klettern an dem Prozess des Entdeckens ebenso erfreuen können, wie am Projektieren harter Routen werden von Rumänien sicherlich nicht enttäuscht sein!