Ein wenig aufgeregt waren wir ehrlich gesagt schon! Einerseits ist es das erste Mal, dass wir - zudem auch noch mit dem eigenen Fahrzeug - auf den afrikanischen Kontinent reisen würden und andererseits haben wir im Vorfeld so viele Erfahrungsberichte über Marokko gehört und gelesen, dass wir nun einfach sehr gespannt waren, welche ersten Eindrücke uns dort empfangen würden.
Die Einreise-Bürokratie begann bereits auf der Fähre, wo unsere Reisepässe registriert und abgestempelt wurden und ein offizielles Formular über den aktuellen Covid-Impfstatus eingesammelt wurde. Dieses Formular wurde allerdings nicht von den Mitarbeitern der Einreisebehörde entgegengenommen, sondern von einem Angestellten der Fähre und hätten wir ihn nicht aktiv angesprochen, um unsere Formulare abzugeben, wäre er mit seinem immer grösseren Papierstapel in den Händen wahrscheinlich weiter an uns vorbeigelaufen. Eine Kontrolle darüber, ob das Formular auch wirklich ausgefüllt und abgegeben wurde hat nämlich auch beim Verlassen der Fähre nicht stattgefunden.
Am Zoll wurde dann zwar jedes Fahrzeug routinemässig begutachtet und von einem Spürhund beschnüffelt, die Beamten waren jedoch durchweg freundlich und schienen hauptsächlich daran interessiert zu sein, ob man eine Drohne dabeihat. Dieses ist bei der Einreise nach Marokko nämlich strengstens verboten, bzw. muss im Vorfeld offiziell angemeldet und genehmigt werden!
Unsere erste Nacht verbrachten wir in der kleinen Küstenstadt Asilah. Asilah stand lange im Schatten der grösseren Hafenstädte, hat sich jedoch mittlerweile durch die Initiative des Bürgermeisters zu „der“ Künstlerstadt und zudem noch einer der saubersten Städte Marokkos entwickelt.
Hungrig von der Überfahrt steuerten wir dort erst einmal eine kleine Bäckerei an, die auf Holzkohle gebackenes Fladenbrot verkaufte. Leider hatten wir aber noch keine Gelegenheit gehabt an Münzgeld zu kommen und so konnte weder die Bäckerei noch der gegenüber gelegene Kiosk unseren 100 DH-Schein (ca. 10 €) wechseln, damit wir den Fladenbrotpreis von 2 DH (also ca. 20 Cent) bezahlen konnten.
Eine Frau mit ihren Kindern, welche unseren Geldwechselversuch beobachtet hatte und offensichtlich nicht verstehen konnte warum der Kioskbesitzer unseren Schein nicht wechseln konnte (oder wollte), drückte daraufhin kurzerhand dem Bäcker die 2 DH und uns anschliessend das Fladenbrot in die Hand. Da half auch kein Gestikulieren, dass wir den Schein einfach woanders wechseln würden - es war gern geschehen schien für sie einfach eine absolute Selbstverständlichkeit zu sein …
Voila! Willkommen in Marokko!
Die Verkehrsschilder in Marokko sind entweder (so wie hier) auf arabisch und in Tifinagh beschriftet - oder aber (auch für uns lesbar) auf arabisch und lateinisch.
Von Asilah aus fuhren wir am nächsten Tag auf direktem Weg in die Taghia-Schlucht. „Auf direktem Weg“ hiess für uns in diesem Fall innerhalb der nächsten 2,5 Tage.
Wir hätten es theoretisch auch in „nur“ 2 Tagen schaffen können, die Informationen über die Beschaffenheit der Strasse der letzten Wegstrecke waren jedoch sehr widersprüchlich und so schlenderten wir am Nachmittag des zweiten Tages lieber noch über den kleinen wöchentlich stattfindenden Souk in Zaouiat Ahansal und liessen die Atmosphäre dieses lebendigen Treibens auf uns wirken, als das Risiko einzugehen im Dunkeln auf irgendeiner Schotterpiste stecken zu bleiben.
Am Stausee Bin el Ouidane fanden wir einen ruhigen Schlafplatz auf unserem Weg in die Taghia-Schlucht.
Souk in Zaouiat Ahansal
Leider blieben die Auskünfte weiterhin uneindeutig und die weiterführende Strasse wurde nach längerer Diskussion und einigen nachfragenden Telefonaten der Campingplatzangestellten, wo wir die Nacht verbracht hatten, dann doch als 4 x 4 bedürftig befunden. Wir liessen also unseren Bus auf dem Parkplatz des Campingplatzes stehen und machten uns - da es an diesem Tag scheinbar keinen Esel als Tragehilfe zu mieten gab - selber jeweils vorne und hinten mit einem Rucksack beladen zu Fuss auf den 3 stündigen Weg zum Dörfchen Taghia, welches Mitten in der gleichnamigen Schlucht im Zentrum der populären Kletterfelsen liegt.
Nach ca. 15 min sprach uns dann allerdings ein verwunderter Dorfbewohner an, und fragte uns, warum wir um alles in der Welt denn zu Fuss gehen würden, wir könnten doch problemlos mit unserem Auto weiterfahren?! Wir schilderten ihm daraufhin den Stand unserer Informationen und er beteuerte uns daraufhin, dass diese falsch seien - er habe uns an unserem Auto gesehen und wir könnten damit sorglos weiterfahren, er würde zeitweise in der Taghia-Schlucht als Guide arbeiten, die Strecke ebenfalls mit dem Auto fahren und diese daher gut kennen.
Nach einigen Überlegungen drehten wir daraufhin um und erzählten den verwunderten Angestellten des Campingplatzes von dem Gespräch und dass wir jetzt doch mit dem Bus weiterfahren würden. Der gleiche Angestellte, der gestern noch die Strasse als für uns unbefahrbar bezeichnet hatte, änderte nun nach eingehender Betrachtung unseres Busses ebenfalls seine Meinung („Ja … das sollte schon gehen. Inschallah!* “) und so fuhren wir schliesslich die nächsten 45 Minuten weiter mit unserem Bus Richtung Taghia - in der Hoffnung, dass die Schotterstrasse so blieb wie sie war und sich nicht doch noch plötzlich in eine 4 x 4 Offroad-Piste verwandeln würde.
Inschallah oder auch "In schā' Allāh" bedeutet wörtlich: "so Gott will" - ist allerdings eine sehr häufig benutzte Redewendung
und scheint meistens viel weniger religiös inspiriert zu sein, als man denken könnte.
Teilweise hatten wir sogar eher das Gefühl, man könnte es ebenso gut mit dem kölschen "et kütt wie et kütt" übersetzen ... ;-)
Am Ende der Strasse nach Taghia kann man sein Auto bedenkenlos auf einem bewachten Parkplatz stehen lassen!
Glücklicherweise tat sie dieses nicht und am Ende der Strasse befand sich, wie angekündigt, ein bewachter Parkplatz, an dem wir unser Auto stehen lassen konnten. Von dort aus gingen wir zu Fuss die letzten Kilometer auf den schmalen Pfaden am Rande des Flusses weiter und wurden schliesslich auf halbem Weg sogar doch noch von einem Taxi de la Montagne* aufgegabelt und von Mohamed und seinem Esel zu unserer Gite begleitet.
Taxi de la Montagne = Mohameds Eigenbezeichnung für seinen Esel.
Die Taghia-Schlucht selbst kann ohne Übertreibung als ein magischer Ort bezeichnet werden. Abgesehen von den dort lebenden Dorfbewohnern trifft man dort (zur Zeit noch) fast ausschliesslich auf eine paar Handvoll KlettererInnen. Die lange Anreise würde sich zwar definitiv auch „nur“ für ein paar Wanderungen oder einfach zum Verweilen in dieser absoluten Abgeschiedenheit lohnen, dieses scheint jedoch (noch) eher unüblich und dementsprechend selten zu sein. Spätestens aber wenn dem verständlichen Wunsch der Dorfbewohner nach einer Strassenanbindung des Dorfes nachgegeben wird, wird sich dieses aber vermutlich rasch ändern und die Taghia-Schlucht auch unter einheimischen Touristen immer mehr an Popularität gewinnen.
Für KlettererInnen ist der Ort ein absolutes Paradies. Um das volle Routenangebot ausschöpfen zu können sollte man sich allerdings schnell und routiniert in hohen Wänden mit bis zu 700 Klettermeter bewegen können und den unteren siebten Franzosengrad eher als Komfortbereich betrachten. Zu den oft hohen Schwierigkeiten der Routen - oder zumindest einzelner Seillängen - sind die Tage nämlich nicht überschwänglich lang und schon kurz nach Dämmerungsbeginn um 18:00 Uhr ist es von jetzt auf gleich stockfinster. Daher wundert es auch nicht, dass in den Gästebüchern der Unterkünfte beinahe alle grossen Namen des Klettersports zu finden sind und auch während unserer Anwesenheit dort mehrere gesponsorte Profis unterwegs waren …
Das kleine Dörfchen Taghia liegt eingebettet im Zentrum der gleichnamigen Schlucht.
Doch auch ohne das beschrieben hohe MSL-Niveau kann man dort problemlos einige wundervolle Tage verbringen indem man sich (so wie wir) die persönlich machbaren Routen raus pickt, oder „notfalls“ einen Ruhetag mehr als üblich einlegt und sich einfach nur von der immensen Gastfreundschaft und den leckeren Speisen der Gite verwöhnen lässt …
P.S: Wenn du / ihr ebenfalls plant in die Taghia-Schlucht zu reisen, um das Klettern in (noch) abgeschiedener Landschaft und / oder die - nicht nur kulinarische -Gastfreundschaft der Dorfbewohner zu erleben und eure Anreise schon vorab organisieren lassen möchtet, können wir euch den Kontakt zu Mohamed Obenali wärmstens empfehlen!