Was nimmt man als Kletterer nicht alles in Kauf, um zum nächsten Traum-Klettergebiet zu kommen?!
Für die auf den ersten Blick relativ kurz erscheinende Entfernung von 440km (Luftlinie) bis Getu, benötigten wir schlappe 28h Busfahrt inklusive viermaligem Umsteigen. Aber es hat sich gelohnt!
Getu ist ein sehr kleines Dörfchen in der Provinz Guizhou, dass inmitten einer traumhaften Berg- und Reisfelderkulisse, eingebettet neben einem breitem, tiefgrünen Fluss liegt. Völlig k.o. fuhren wir mit dem letzten unserer vier Busse in Getu ein und die Landschaft erinnerte uns sofort an die Verdonschlucht in Frankreich, gepaart mit einem Hauch Schweiz und jeder Menge sichtbarer chinesischer Tradition.
Hier gibt es ausser ein paar Wochenendtouristen nur die wenigen Kletterer und die Dorfbewohner, sonst niemanden. Chinesische Touristen, die die landschaftlichen Sehenswürdigkeiten rund um das Dorf besuchen wollen, übernachten scheinbar meist in einer der Städte "in der Nähe" von Getu und sind daher kaum wahrnehmbar. Nach dem aufreibenden touristischen Yangshuo war es fasst unheimlich, nach dem Abendessen, allein die dunkle verlassene Dorfstrasse zu unserer Unterkunft zurückzuschlendern und dabei die fast absolute Stille zu genießen.
Man hört tagsüber nichts ausser dem Gegacker der freilebenden Hühner, Enten und Gänse - leider auch mal das Schreien eines geschlachteten Schweines - und nachts das Quaken der Frösche. Die hier lebenden Menschen sind sehr sehr freundlich und scheinen sich riesig über jeden Besuch zu freuen und jedes "Nihao" (= "Hallo") von uns, was in unserer Aussprache wahrscheinlich sehr lustig für die Chinesen klingt, wird mit einem breiten Lachen erwiedert.
Berührungsängste gibt es hier scheinbar (trotz fast unmöglicher sprachlicher Verständigung) nicht die geringsten - als wir am ersten Tag auf dem Weg zu einem der Felsen waren, kam gerade eine alte Frau von einem der Reisfelder und trug einen Korb auf dem Rücken, in den Händen einen riesigen Sack Gemüse und über der Schulter eine Harke zur Feldarbeit. Da wir offensichtlich erst einmal den gleichen Weg hatten, drückte sie den Gemüsesack und die Harke ohne zu zögern, Ansgar in die Hände und wir gingen gemeinsam weiter, bis sie ihr Ziel erreicht hatte und sie ihre Sachen lachend und sich mehrmals bedankend, wieder entgegen nahm.
Die Bewohner Getus gehören zu den Miao, einer der zahlreichen ethnischen Minoritäten in China und sind auch heute noch oft tradionell gekleidet. Generell scheint hier die Zeit in vielen Bereichen stehengeblieben zu sein - mühevolle Handarbeit bestimmt den Alltag der hier lebenden Menschen, und selbst auf Baustellen, wo Bagger und Planierraupen eingestetzt werden, werden z.B. schwere Steinblöcke immernoch in einem (an einem Ast hängenden) Seilnetz "per Hand" transportiert.
Dieses verwundert wenig, wenn man bedenkt, dass es in Getu erst seit ca. 10 Jahren Strom und fliessend Wasser gibt. Die Tage der "Ursprünglichkeit" scheinen in dieser Form aber gezählt zu sein.
Unmittelbar hinter der Dorfgrenze entsteht im "Getu-Park" eine riesige Baustelle, die erahnen läßt, wie verändert es hier in 10 Jahren aussehen könnte.
So sehr wir diese ruhige Idylle auch geniessen, vermissen wir natürlich manchmal die Essens- und Snackvielfalt Yangshuo´s. Leckere Köstlichkeiten an jeder Ecke, Frühstücksvielfalt von westlichem Bananenbrot über chinesische Nudelsuppe bis zur frisch hergestellten warmen Sojamilch, in die man sein noch dampfendes Hefebrötchen tunkt, hmmm...
Hier kann man morgens Nudelsuppe frühstücken, sich kalte Nudeln oder Reis oder haufenweise Kekse mit zum Felsen nehmen und abends in einem kleinen Restaurant zwischen Suppe, Reis und Nudeln wählen. Das Essen schmeckt super lecker, aber eine der Kletterrouten heißt hier nicht umsonst "Loco de Noodles", was soviel heißt wie: "verrückt geworden durch Nudeln" ;-) ...
Eine wahre Atrraktion in Getu ist "The great Arch". Eine über 50m hohe, 70m breite und 140m lange Höhle bzw. Tunnel mitten in einem der grossen Karst-Felsen. Wenn man die 1000 Treppenstufen erklommen hat, ist man einfach nur hin und weg von dem An- und Ausblick dieses riesigen Bogens. Ringsherum wachsen wilde Bananen und Bambuspflanzen und man kommt sich vor, als stünde man mitten im Dschungel.
Jeder Kletterer stellt sich jetzt wahrscheinlich die selbe Frage ...
Und die Antwort ist:
JAAA!
Hier kann man klettern :-)
Ausblick aus dem Bogen
2007 wurde durch Olivier Balma und das CMDI (Chinese Mountaineering Developement Institude) die ersten Routen in Getu eingebohrt und 2011 fand hier der Petzl RocTrip statt, wo Dani Andrada den Anblick des Bogens als einfach nur "brutal und inhumano" beschrieb.
Drei Tage lang machten über 600 Kletterer und Klettergrössen wie Chris Sharma, Dani Andrada und Lynn Hill das kleine Dörfchen unsicher und mittlerweile gibt es fast 15 verschiedene Sektoren, die fussläufig 15-60 Minuten entfernt liegen. Und hier gibt es noch sehr sehr viel Potential! Nächste Woche gibt die <a href="http://terratribes.com/en/training/cmdi">CMDI</a> hier ein "Bohr"-Training und danach toben sich erneut fleissige Einbohrer und Erstbegeher an den beeindruckenden Felsen Getus aus.
Um die 30 stündige Fahrt nach Beijing wenigstens einmal zu unterbrechen und dabei (leider vorerst ein letztes Mal) unser Verlangen nach der einzigartigen Landschaft Chinas zu stillen, werden wir in ein paar Tagen nach Guoliangcun aufbrechen.
Wir werden euch (wie immer) auf dem Laufenden halten!